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Roald Dahl - Matilda

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«Weiter», sagte Matilda gebannt, «was ist dann passiert?»

«Ja, weißt du, ich hab mir bei so einer Versandfirma ein besonders kräftiges Juckpulver bestellt», sagte Hortensia, «es war ganz schön teuer, und es hat der Haut-Aufheizer geheißen. In der Beschreibung stand, daß es aus den gemahlenen Zähnen von Giftschlangen besteht, und sie haben einem garantiert, daß es auf der Haut Blasen macht, so groß wie Walnüsse. Also, ich hab dieses Pulver in alle Hosen gestreut, die in der Schublade waren, und dann hab ich sie wieder schön und ordentlich zusammengefaltet.» Hortensia machte eine Pause, um sich wieder Kartoffelchips in den Mund zu stopfen.



«Hat es gewirkt?» fragte Lavendel.

«Tja», sagte Hortensia, «ein paar Tage später, grad beim Gebet, hat die Knüppelkuh plötzlich angefangen, sich wie verrückt am Hintern zu kratzen. Aha, hab ich zu mir gesagt, jetzt geht’s los, sie hat also das Turnzeug schon drunter. Es war einfach wunderbar, so dazusitzen und alles genau verfolgen zu können und zu wissen, daß ich der einzige Mensch in der ganzen Schule war, der haargenau gewußt hat, was da in den Hosen von der Knüppelkuh vor sich geht. Und ich hab mich außerdem bombensicher gefühlt. Ich hab gewußt, keiner konnte mich schnappen. Und dann ist die Kratzerei schlimmer geworden. Sie konnte gar nicht mehr aufhören. Sie muß gedacht haben, sie hätte ein Wespennest da unten drin, und dann ist sie mitten im Vaterunser aufgesprungen, hat sich den Hintern festgehalten und ist aus der Aula gestürzt.»

Matilda und Lavendel waren alle beide wie verzaubert. Es war ihnen vollkommen klar, daß sie in diesem Augenblick vor einer Meisterin standen. Hier war jemand, der die Kunst der Gemeinheit in Vollendung beherrschte und darüber hinaus bereit war, bei ihrer Ausübung Kopf und Kragen zu riskieren. Sie starrten diese Göttin voller Ehrfurcht an, und plötzlich war selbst der Pickel auf ihrer Nase nicht mehr lächerlich, sondern ein Abzeichen des Mutes.

«Aber wie hat sie dich denn erwischt?» fragte Lavendel fast atemlos vor Bewunderung.

«Hat sie gar nicht», antwortete Hortensia, «aber ich hab trotzdem einen Tag im Luftabschneider verpaßt gekriegt.»

«Warum denn?» fragten beide wie aus einem Mund.

«Die Knüppelkuh», erklärte Hortensia, «hat eine widerwärtige Art, den Nagel auf den Kopf zu treffen. Wenn sie nicht weiß, wer der Schuldige ist, dann rät sie einfach drauflos, und es ist ein Jammer, wie recht sie meistens hat. Ich war diesmal die Hauptverdächtige wegen der Sache mit dem Sirup, und obwohl sie genau wußte, daß sie nicht den geringsten Beweis hatte, konnte ich sagen, was ich wollte, es half mir nichts. Ich schrie die ganze Zeit: ‹Wie hätt ich das denn machen können, Fräulein Knüppelkuh? Ich hab ja nicht mal eine Ahnung, daß Sie Ihre Ersatzunterhosen in der Schule aufbewahren! Ich weiß erst recht nicht, was Juckpulver ist! Ich hab noch nie davon gehört!› Aber das Leugnen hat mir nichts genützt. Trotz meines ganzen Theaters. Die Knüppelkuh hat mich einfach am Ohr gepackt und hat mich Hals über Kopf zum Luftabschneider geschleift und hineingestoßen und die Tür verrammelt. Das war mein zweiter ganzer Tag im Kasten. Es war eine regelrechte Folter. Als ich wieder rauskam, war ich am ganzen Leibe zerschlitzt und zerschnitten.»

«Das ist ja wie Krieg», sagte Matilda fassungslos.

«Da hast du verdammt recht, das ist wie Krieg», schrie Hortensia, «und die Verluste sind ungeheuerlich. Wir sind die Kreuzfahrer, die todesmutige Armee, wir kämpfen um unser Leben, fast völlig ohne Waffen, und die Knüppelkuh ist der Fürst der Finsternis, die heimtückische Schlange, der feuerspeiende Drache, ihr stehen alle Waffen zur Verfügung. Es ist ein hartes Leben. Jeder von uns versucht, dem andern Beistand zu leisten.»

«Auf uns kannst du dich verlassen», sagte Lavendel und streckte ihre ein Meter zwanzig in die Höhe, so hoch es ging.

«Nein, das kann ich nicht», entgegnete Hortensia, «ihr seid nur kleine Krabben. Aber man weiß schließlich nie. Kann sein, daß wir eines Tages irgendeine Untergrundarbeit für euch haben.»

«Erzähl uns noch ein bißchen mehr davon, was sie so macht», bettelte Matilda, «bitte.»

«Ihr seid ja noch keine Woche hier, ich darf euch keinen zu großen Schrecken einjagen», antwortete Hortensia.

«Tust du auch nicht», antwortete Lavendel. «Wir sind zäh, wenn wir auch noch klein sind.»



«Na, dann hört zu», fuhr Hortensia fort, «erst gestern hat die Knüppelkuh einen Jungen erwischt, den Julius Rottwinkel, der in der Schönschreibstunde Lakritze gelutscht hat. Sie hat ihn einfach am Arm gepackt und hochgehoben und aus dem offenen Fenster geworfen. Unser Klassenzimmer ist im ersten Stock, und wir haben Julius Rottwinkel wie eine Frisbeescheibe über den Garten segeln sehen, bis er mit einem Plumps mitten im Salat gelandet ist. Dann hat sich die Knüppelkuh an uns gewandt und hat gesagt: ‹Von jetzt an fliegt jeder aus dem Fenster, den ich beim Kauen erwische.›»

«Hat sich dieser Julius Rottwinkel die Knochen gebrochen?» fragte Lavendel.

«Nur ein paar», antwortete Hortensia. «Du darfst nicht vergessen, daß die Knüppelkuh mal bei der Olympiade in der britischen Mannschaft gewesen ist, als Hammerwerferin. Deshalb ist sie so stolz auf ihren rechten Arm.»

«Was ist denn Hammerwurf?» fragte Lavendel.

«Der Hammer», erklärte Hortensia, «ist eigentlich eine verdammt schwere Kanonenkugel am Ende von einem langen Stück Draht, und der Hammerwerfer wirbelt sie immer um seinen oder ihren Kopf herum und rum und rum und immer schneller, und dann läßt er sie los. Du mußt dazu wahnsinnig stark sein. Die Knüppelkuh wirft und wirbelt alles durch die Gegend, um den Arm in Form zu halten, und ganz besonders gerne Kinder.»

«Du meine Güte», sagte Lavendel.

«Ich hab sie mal sagen hören», fuhr Hortensia fort, «daß ein großer Junge ungefähr das gleiche Gewicht besitzt wie ein olympischer Hammer und daß man deshalb mit ihm besonders gut üben kann.»

In diesem Augenblick geschah etwas Merkwürdiges. Der Schulhof, auf dem bis eben noch die Schreie und Rufe der spielenden Kinder erschollen waren, wurde plötzlich so still wie ein Grab.

«Paßt auf!» zischte Hortensia.

Matilda und Lavendel schauten sich um und sahen die Riesengestalt von Fräulein Knüppelkuh, die sich mit drohenden Schritten durch die Schar der Jungen und Mädchen drängte. Die Kinder wichen hastig zurück, um sie vorbeizulassen, und so ähnelte ihr Marsch über den Asphalt dem von Moses durchs Rote Meer, vor dem sich die Wasser geteilt hatten. Auch sie war in ihren grünen Hosen und ihrem Kittel mit dem Gürtel eine bemerkenswerte Figur. Unterhalb der Kniekehlen wölbten sich die Wadenmuskeln in den wollenen Strümpfen so rund und prall wie Grapefruits. «Amanda Tripp!» rief sie. «Komm hierher, Amanda Tripp!»

«Jetzt haltet euch fest», flüsterte Hortensia.

«Was wird denn passieren?» flüsterte Lavendel zurück.

«Diese blöde Amanda», erklärte Hortensia, «hat sich die Haare in den Schulferien noch länger wachsen lassen, und ihre Mutter hat sie ihr zu Zöpfen geflochten. Völlig schwachsinnig, so was zu machen.»

«Warum schwachsinnig?» fragte Matilda.

«Wenn’s eins gibt, was die Knüppelkuh nicht ausstehen kann, so sind das Zöpfe», antwortete Hortensia.

Matilda und Lavendel sahen die Riesin in den grünen Kniehosen auf ein Mädchen von etwa zehn Jahren zuschreiten, dem ein Paar goldblonde Zöpfe auf dem Rücken hingen. Jeder Zopf war mit einer blauen Seidenschleife zugebunden, und das sah alles in allem sehr niedlich aus. Das Mädchen mit den Zöpfen, Amanda Tripp, stand mucksmäuschenstill da und beobachtete die nahende Riesin. Den Ausdruck auf ihrem Gesicht hätte man auch auf dem eines Menschen entdecken können, der sich in einem kleinen Gatter allein mit einem wütenden Stier eingesperrt findet, der gerade zum Angriff ansetzt. Das Mädchen war vor Schreck wie festgenagelt. Es bebte. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf, und es wußte, daß ihm endlich der Tag des Jüngsten Gerichtes anbrach.

Fräulein Knüppelkuh hatte unterdessen das Opfer erreicht und blieb darübergebeugt stehen. «Ich will, daß diese zerzausten Zöpfe verschwunden sind, wenn du dich morgen hier in der Schule wieder blicken läßt!» bellte sie. «Schneid sie ab und schmeiß sie in den Mülleimer, hast du mich verstanden?»



Amanda, starr vor Angst und Schrecken, konnte nur noch stottern: «Meine Mammamamami mag sie aber. Sie flicht sie mir jeden Morgen.»

«Bei deiner Mami piept’s!» bellte die Knüppelkuh. Sie deutete mit einem Finger, so dick wie eine Salami, auf den Kopf des Kindes und kreischte: «Du siehst aus wie eine Ratte, der der Schwanz aus dem Kopf kommt!»

«Meine Mammamamami findet, ich sehe hübsch aus, Fräulein Knüknüknüppelkuh», stotterte Amanda und zitterte wie ein Wackelpudding.

«Was deine Mami denkt, kümmert mich einen feuchten Kehricht!» heulte die Knüppelkuh und beugte sich bei diesen Worten vor. Mit ihrer rechten Faust packte sie Amandas Zöpfe und riß das Mädchen einfach vom Boden hoch. Dann fing sie an, sie um den Kopf herumzuwirbeln, herum und herum und immer schneller, und Amanda schrie wie am Spieß, und die Knüppelkuh brüllte: «Ich werd dich Zöpfe flechten lehren, du kleine Ratte!»

«Wie bei der Olympiade», murmelte Hortensia. «Sie nimmt jetzt Geschwindigkeit auf, genauso wie sie es mit dem Hammer gemacht hat. Zehn zu eins, daß sie Amanda wirft.»

Und nun lehnte sich die Knüppelkuh zurück, gegen das Gewicht des wirbelnden Mädchens, drehte sich gekonnt auf den Zehenspitzen um die eigene Achse, wirbelte weiter herum, und bald kreiste Amanda Tripp so schnell durch die Luft, daß sie nur noch ein Farbfleck war, und plötzlich ließ die Knüppelkuh die Zöpfe mit einem wilden Grunzen fahren, und Amanda schoß wie eine Rakete hoch über den Drahtzaun des Schulhofs in den Himmel hinauf.

«Guter Wurf, Meister!» rief jemand draußen vorm Schulhof, und Matilda, die die ganze Wahnsinnsangelegenheit gebannt beobachtet hatte, sah, wie Amanda Tripp in einem langen anmutigen Bogen drüben auf dem Sportplatz niederging. Sie landete auf dem Rasen, prallte dreimal auf und kam schließlich zum Stillstand. Dann richtete sie sich erstaunlicherweise auf. Sie wirkte etwas benommen, was man ihr wirklich nicht vorwerfen konnte, aber nach ungefähr einer Minute war sie wieder auf den Füßen und trottete zum Schulhof zurück. Dort stand die Knüppelkuh und klopfte sich den Staub von den Händen. «Nicht schlecht», bemerkte sie, «wenn man bedenkt, daß ich eigentlich nicht im Training bin. Gar nicht so schlecht.» Damit schlenderte sie davon.



«Sie ist verrückt», sagte Hortensia.

«Aber beschweren sich die Eltern denn nicht?» fragte Matilda.

«Würden deine das tun?» fragte Hortensia dagegen. «Meine würden sich nicht mucksen, das weiß ich ganz genau. Sie behandelt die Mütter und Väter genauso wie die Kinder, und sie haben alle einen Heidenrespekt vor ihr. Ich seh euch sicher wieder, ihr beiden.»

Damit hüpfte sie davon.



Theo Torfkopp und die Torte

«Wie kann sie damit durchkommen?» fragte Lavendel Matilda. «Wenn die Kinder nach Hause gehen, erzählen sie doch sicher ihren Eltern davon. Ich weiß bestimmt, mein Vater würde einen fürchterlichen Wirbel machen, wenn ich ihm erzählte, daß mich die Schulleiterin bei den Haaren gepackt und über den Schulzaun geschleudert hätte.»

«Nee, das wird er nicht machen», antwortete Matilda, «und ich will dir auch sagen warum. Er würde dir einfach nicht glauben.»

«Aber natürlich wird er das.»

«Wird er nicht», sagte Matilda, «und der Grund dafür ist klar. Deine Geschichte würde so verrückt klingen, daß sie keiner glaubt. Und das ist der große Trick der Knüppelkuh.»

«Was für ein Trick?» fragte Lavendel.

Matilda antwortete: «Wenn man mit etwas durchkommen will, darf man keine halben Sachen machen. Du mußt unverschämt sein und immer mit vollem Dampf voraus. Und du mußt darauf achten, daß alles, was du anstellst, so absolut wahnsinnig ist, daß es keiner glaubt. Kein Vater und keine Mutter werden diese Zopfgeschichte schlucken, auch nicht in einer Million Jahren. Meine ganz bestimmt nicht. Sie würden sagen, lüg nicht so.»

«Wenn das so ist», sagte Lavendel, «wird Amandas Mutter ihr auch nicht die Zöpfe abschneiden.»

«Nein, sie bestimmt nicht», antwortete Matilda, «das muß Amanda selber tun. Du wirst schon sehen, was passiert.»

«Glaubst du, daß sie verrückt ist?» fragte Lavendel.

«Wer?»

«Die Knüppelkuh.»

«Nein, daß sie verrückt ist, glaube ich nicht», entgegnete Matilda, «aber sie ist sehr gefährlich. Wenn man in diese Schule geht, dann ist es genauso, als ob man zusammen mit einer Kobra in einem Käfig steckt. Man muß ziemlich flink sein.»

Am folgenden Tag erlebten sie wieder, wie gefährlich die Schulleiterin werden konnte. Während der großen Pause wurde angekündigt, daß sich die ganze Schule gleich danach in der Aula versammeln und hinsetzen sollte.

Nachdem sich alle ungefähr zweihundertundfünfzig Jungen und Mädchen in der Aula niedergelassen hatten, kam die Knüppelkuh auf die Bühne marschiert. Keiner der anderen Lehrer begleitete sie. In der rechten Hand trug sie eine Reitpeitsche. Sie baute sich in ihren grünen Hosen mit gespreizten Beinen mitten auf der Bühne auf, den Reitstock in der Hand, und starrte in das Meer der zu ihr emporgewandten Gesichter.

«Was passiert denn jetzt?» flüsterte Lavendel.

«Keine Ahnung», flüsterte Matilda zurück.

Die ganze Schule wartete gespannt auf das, was nun kommen würde.

«Theo Torfkopp!» bellte die Knüppelkuh plötzlich. «Wo steckt Theo Torfkopp?»

Mitten zwischen den Kindern fuhr eine Hand in die Höhe.

«Komm hier rauf!» schrie die Knüppelkuh, «und ein bißchen hopp hopp!»

Ein elfjähriger Junge, der ausgesprochen wohlgenährt war, stand auf und watschelte rasch nach vorn. Er kletterte auf die Bühne.

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