Karl May - Durch die Wuste
»Ich glaube es nicht, doch ist es möglich.«
»Meine Dahabië ist sehr gut, aber ein guter Sandal holt jede Dahabië ein.«
»So wollen wir wünschen, daß wir unverfolgt bleiben!«
Ich erzählte nun den Hergang unseres Abenteuers und ging dann nach der Kajüte, um meine noch immer feuchten Kleider zu wechseln. Sie war in zwei Teile geteilt, einen kleinen und einen größeren. Der erstere war für Senitza und der letztere für den Kapitän, Isla Ben Maflei und mich bestimmt.
Es waren vielleicht zwei Stunden seit unserer Abfahrt vergangen, als ich oberhalb unseres Schiffes die Spitze eines Segels bemerkte, welches sich immer mehr vergrößerte. Als der Rumpf sichtbar wurde, erkannte ich den Sandal, welchen wir in der Frühe gesehen hatten.
»Siehst du das Schiff?« fragte ich den Reïs.
»Allah akbar, Gott ist groß, und deine Frage ist auch groß,« antwortete er mir. »Ich bin ein Reïs und sollte ein Segel nicht sehen, welches so nahe hinter dem meinigen steuert!«
»Ob es ein Fahrzeug des Khedive ist?«
»Nein.«
»Woraus erkennst du dies?«
»Ich kenne diesen Sandal sehr genau.«
»Ah!«
»Er gehört dem Reïs Chalid Ben Mustapha.«
»Kennst du diesen Chalid?«
»Sehr; aber wir sind keine Freunde.«
»Warum?«
»Ein ehrlicher Mann kann nicht der Freund eines Unehrlichen sein.«
»Hm, so ahnt mir etwas.«
»Was?«
»Daß sich Abrahim-Mamur an seinem Bord befindet.«
»Werden es sehen!«
»Was wirst du tun, wenn der Sandal sich an die Dahabië legen will?«
»Ich muß es zugeben. Das Gesetz sagt es so.«
»Und wenn ich es nicht zugebe?«
»Wie wolltest du dies anfangen? Ich bin der Reïs meiner Dahabië und habe nach den Vorschriften des Gesetzes zu handeln.«
»Und ich bin der Reïs meines Willens.«
Jetzt trat Isla zu uns. Ich wollte ihm keine zudringliche Frage vorlegen, aber er begann selbst:
»Kara Ben Nemsi, du bist mein Freund, der beste Freund, den ich gefunden habe. Soll ich dir erzählen, wie Senitza in die Hände des Aegypters gekommen ist?«
»Ich möchte es sehr gerne hören, doch zu einer solchen Erzählung gehört die Ruhe und Sammlung, welche wir jetzt nicht haben können.«
»Du bist unruhig? Weshalb?«
Er hatte das hinter uns segelnde Fahrzeug noch nicht bemerkt.
»Drehe dich um, und siehe diesen Sandal.«
Er wandte sich um, sah das Schiff und fragte:
»Ist Abrahim an Bord?«
»Ich weiß es nicht, aber es ist sehr leicht möglich, weil der Kapitän ein Schurke ist, der sich von Abrahim erkaufen lassen wird.«
»Woher weißt du, daß er ein Schurke ist?«
»Abu el Reïsahn sagt es.«
»Ja,« bestätigte dieser; »ich kenne diesen Kapitän und kenne auch sein Schiff. Selbst wenn es weiter entfernt wäre, würde ich es an seinem Segel erkennen, welches dreifach ausgebessert und zusammengeflickt ist.«
»Was werden wir tun?« fragte Isla.
»Zunächst abwarten, ob Abrahim sich an Bord befindet.«
»Und wenn er da ist?«
»So kommt er nicht zu uns herüber.«
Unser Schiffsführer prüfte den Fortgang des Sandal und denjenigen, den wir selbst machten, und meinte dann:
»Er kommt uns immer näher. Ich werde eine Triketha[29] beisetzen lassen.«
Dies geschah, aber ich merkte bereits nach einigen Minuten, daß die Entscheidung dadurch höchstens verzögert, nicht aber aufgehoben werde. Der Sandal kam uns immer näher; endlich war er nur noch eine Schiffslänge von uns entfernt und ließ das eine Segel fallen, um seine Schnelligkeit zu vermindern. Wir sahen Abrahim-Mamur auf dem Deck stehen.
»Er ist da!« sagte Isla.
»Wo steht er?« fragte der Reïs.
»Ganz vorn am Buge.«
»Dieser? Kara Ben Nemsi, was tun wir? Sie werden uns ansprechen, und wir müssen ihnen antworten.«
»Wer hat nach deinen Gesetzen zu antworten?«
»Ich, der Inhaber meiner Dahabië.«
»Merke auf, was ich dir sage, Abu el Reïsahn. Bist du bereit, mir dein Schiff von hier bis Kahira zu vermieten?«
Der Kapitän sah mich erstaunt an, begriff dann aber gleich, was ich für einen Zweck verfolgte.
»Ja,« antwortete er.
»Dann bin also ich der Inhaber?«
»Ja.«
»Und du als Reïs mußt tun, was ich will?«
»Ja.«
»Und bist für nichts verantwortlich?«
»Nein.«
»Gut. Rufe deine Leute zusammen!«
Auf seinen Ruf kamen alle herbei, und der Kapitän erklärte ihnen:
»Ihr Männer, ich sage euch, daß dieser Effendi, welcher Kara Ben Nemsi heißt, unsere Dahabië von hier bis nach Kahira gemietet hat. Ist es nicht so?«
»Ja, es ist so,« bestätigte ich.
»Ihr könnt mir also bezeugen, daß ich nicht mehr Herr des Schiffes bin?« fragte er die Leute.
»Wir bezeugen es.«
»So geht an eure Plätze. Das aber müßt ihr wissen, daß ich die Leitung des Schiffes behalte, denn Kara Ben Nemsi hat es mir befohlen.«
Sie entfernten sich, sichtlich befremdet über die sonderbare Mitteilung, welche ihnen geworden war.
Mittlerweile war der Sandal in gleiche Linie mit uns gekommen. Der Kapitän desselben, ein alter langer, sehr hagerer Mann mit einer Reiherfeder auf dem Tarbusch, trat an die Bordung und fragte herüber:
»Ho, Dahabië; welcher Reïs?«
Ich neigte mich vor und antwortete:
»Reïs Hassan.«
»Hassan Abu el Reïsahn?«
»Ja.«
»Schön, kenne ihn,« antwortete er mit schadenfroher Miene. »Ihr habt ein Weib an Bord?«
»Ja.«
»Gebt es heraus!«
»Chalid Ben Mustapha, du bist verrückt!«
»Wird sich finden. Wir werden bei euch anlegen.«
»Das werden wir verhindern.«
»Wie willst du dies anfangen?«
»Das will ich dir sofort zeigen. Merke auf die Feder an deinem Tarbusch!«
Ich erhob sehr schnell die Büchse, welche ich, ohne daß er sie gesehen hatte, bereit gehalten hatte, zielte und drückte los. Die Feder flog herab. Selbst das entsetzlichste Unglück hätte den würdigen Ben Mustapha nicht so in Aufregung versetzen können, wie dieser Warnungsschuß. Er fuhr so hoch in die Luft, als beständen seine hageren Gliedmaßen aus elastischem Gummi, hielt sich den Kopf mit beiden Händen und floh hinter den Mast.
»Jetzt weißt du, wie ich schieße, Ben Mustapha,« rief ich hinüber. »Wenn dein Sandal noch eine einzige Minute bei uns backseits fährt, so schieße ich dir nicht die Feder vom Tarbusch, sondern die Seele aus dem Leibe; darauf kannst du dich verlassen!«
Diese Drohung hatte eine augenblickliche Wirkung. Er eilte an das Steuer, riß es aus den Händen dessen, der es bisher regiert hatte, und drehte ab. In zwei Minuten befand sich der Sandal in einer solchen Entfernung von uns, daß ihn meine Kugel nicht erreichen konnte.
»Jetzt sind wir für den Augenblick sicher,« meinte ich.
»Er wird nicht wieder so nahe kommen,« stimmte Hassan bei; »aber er wird uns auch nicht aus dem Auge lassen, bis wir irgendwo an das Ufer legen, wo er die Hilfe des Gesetzes in Anspruch nehmen wird. Die fürchte ich freilich nicht; aber ich fürchte etwas anderes.«
»Was?«
»Das da!«
Er deutete mit der Hand hinaus auf das Wasser, und wir verstanden sogleich, was er meinte.
Schon seit einiger Zeit hatten wir bemerkt, daß die Wogen mit größerer Gewalt und Schnelligkeit vorwärts strebten als vorher und die jetzt felsig gewordenen Ufer einander immer näher traten. Wir näherten uns nämlich einer jener Stromschnellen, welche, mehr oder weniger gefahrdrohend für den Schiffer, dem Verkehre auf dem Nile fast unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen. Jetzt mußte die Feindschaft der Menschen schweigen, damit sich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller auf das drohende Element richten konnte. Die Stimme des Reïs tönte laut schallend über das Deck:
»Blickt auf, ihr Männer, der Schellahl kommt, der Katarakt! Tretet zusammen und betet die heilige Fatcha!«
Die Leute folgten seinem Gebote und begannen:
»Behüte uns, o Herr, vor dem von dir gesteinigten Teufel!«
»Im Namen des Allbarmherzigen!« intonierte der Reïs.
Darauf fielen die andern ein und beteten die Fatcha, die erste Sure des Koran.
Ich muß gestehen, daß dieses Gebet auch mich ergriff, aber nicht aus Furcht vor der Gefahr, sondern aus Ehrfurcht vor der tief im Herzen wurzelnden Religiosität dieser halbwilden Menschen, welche nichts tun und beginnen, ohne sich dessen zu erinnern, der in dem Schwachen mächtig ist.
»Wohlan, ihr jungen Männer, ihr mutigen Helden, geht an euere Plätze,« gebot nun der Führer; »der Strom hat uns ergriffen.«
Das Kommando eines Nilschiffes läuft nicht so ruhig und exakt ab, wie die Führung eines europäischen Fahrzeuges. Das heiße Blut des Südens rollt durch die Adern und treibt in der Gefahr den Menschen von dem Extreme der ausschweifendsten Hoffnung herab auf dasjenige der tiefsten Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Alles schreit, ruft, brüllt, heult, betet oder flucht im Augenblicke der Gefahr, um im nächsten Momente, wenn diese Gefahr vorübergegangen ist, noch lauter zu jubeln, zu pfeifen, zu singen und zu jauchzen. Dabei arbeitet ein jeder mit Anspannung aller seiner Kräfte, und der Schiffsführer springt von einem zum andern, um jeden anzufeuern, tadelt die Säumigen in Ausdrücken, wie sie nur ein Araber sich auszusinnen vermag, und belohnt die andern mit den süßesten, zärtlichsten Namen, unter denen sich das Wort »Held« am meisten wiederholt. Hassan hatte sich auf das Passieren der Stromschnelle vorbereitet und Reservemannschaft eingenommen. Jedes Ruder war doppelt besetzt, und am Steuer standen drei Barkenführer, welche jeden Fußbreit des Stromes hier an dieser gefährlichen Stelle kannten.
Mit furchtbarer Gewalt rauschten die Wogen jetzt über die von dem Wasser kaum bedeckten Felsblöcke; die Wellen stürzten schäumend über das Deck, und der Donner des Kataraktes übertäubte jedes, auch das lauteste Kommandowort. Das Schiff stöhnte und krachte in allen Fugen; die Ruder versagten ihre Dienste und, dem Steuer vollständig ungehorsam, tobte die Dahabië durch die kochenden Gewässer.
Da treten die schwarzen, glänzenden Felsen vor uns eng zusammen und lassen nur noch ein Tor offen, welches kaum die Breite unseres Schiffes besitzt. Die Wogen werden förmlich durch dasselbe hindurchgepreßt und stürzen sich in einem dicken, mächtigen Strahle nach unten in ein Becken, welches übersäet ist von haarscharfen und nadelspitzen Steinblöcken.
Mit sausender Hast schießen wir dem Tore zu. Die Ruder werden eingezogen. Jetzt befinden wir uns in dem furchtbaren Loche, dessen Wände uns zu beiden Seiten so nahe sind, daß wir sie fast mit den Händen erreichen können. Als wolle sie uns hinaustreiben in die Luft, so schleudert uns die rasende Gewalt der Strömung über die sprühenden, gischtspritzenden Kämme des Falles hinaus, und wir stürzen hinab in den Schlund des Kessels. Es brodelt, spritzt, rauscht, tobt, donnert und brüllt um uns her. Da packt es uns wieder mit unwiderstehlicher Macht und reißt uns eine schief abfallende Ebene hinab, deren Wasserfläche glatt und freundlich vor uns liegt, aber grad unter dieser Glätte die gefährlichste Tücke birgt, denn wir schwimmen nicht, nein, wir fallen, wir stürzen mit rapider Vehemenz die abschüssige Bahn hinab und – — —
»Allah kerihm, Gott ist gnädig!« ertönt Hassans Stimme jetzt so schrill, daß sie gehört werden kann. »Allah il Allah, an die Ruder, an die Ruder, ihr Jünglinge, ihr Männer, ihr Helden, ihr Tiger, Panther und Löwen! Der Tod liegt vor euch. Seht ihr es denn nicht? Amahl, amahl, ïa Allah amahl, macht, macht, bei Gott, macht, ihr Hunde, ihr Feiglinge, ihr Schurken und Katzen, arbeitet, arbeitet, ihr Wackern, ihr Guten, ihr Helden, ihr Unvergleichlichen, Erprobten und Auserwählten!«
Wir schießen einer Schere zu, welche sich grad vor uns öffnet und uns im nächsten Augenblicke vernichten wird. Die Felsen sind so scharf, und der Fall des Stromes ist so reißend, daß von dem Schiffe kein Handgroß von Holz beisammen bleiben kann, wie es scheint.
»Allah ïa Sahtir, o du Bewahrer, hilf! Links, links, ihr Hunde, ihr Geier, ihr Rattenfresser, ihr Aasverdauer, links, links mit dem Steuer, ihr Braven, ihr Herrlichen, ihr Väter aller Helden! Allah, Allah, Maschallah – Gott tut Wunder, ihm sei Dank!«
Das Schiff hat den fast übermenschlichen Anstrengungen gehorcht und ist vorübergeflogen. Für einige Augenblicke befinden wir uns im ruhigen Fahrwasser, und alles stürzt sich auf die Kniee, um dem Allmächtigen zu danken.
»Esch‘hetu inu la il laha il Allah!« tönt es jubelnd über das Deck hin – »bezeuge, daß es nur einen Gott gibt! Sellem aaleïna baraktak, begnadige uns mit deinem Segen!«
Da kommt es hinter uns hergeschossen, wie von der Sehne eines Bogens geschnellt. Es ist der Sandal, welcher dieselben Gefahren hinter sich hat, wie wir. Seine Schnelligkeit ist jetzt wieder größer als die unserige, und er muß daher an uns vorüber. Aber das offene Fahrwasser ist so schmal, daß wir nur mit Mühe auszuweichen vermögen, und fast Bord an Bord rauscht er vorüber. Am Maste lehnt Abrahim-Mamur, die Rechte hinter sich versteckend. Mir grade gegenüber reißt er die verborgen gehaltene, lange arabische Flinte an die Wange – ich werfe mich nieder – die Kugel pfeift über mir weg, und im nächsten Augenblick ist der Sandal uns weit voran.
Alle haben den Mordversuch gesehen, aber niemand hat Zeit zur Verwunderung oder zum Zorne, denn die Strömung packt uns wieder und treibt uns in ein Labyrinth von Klippen.
Da erschallt vor uns ein lauter Schrei. Der Sandal wurde von der Macht des Schellahl an einen Felsen geworfen; die Schiffer schlagen die Ruder in die Flut, und das nur leicht beschädigte Fahrzeug schießt, von den Wogen wieder gefaßt, befreit davon. Aber bei dem Stoße ist ein Mensch über Bord gefallen; er hängt im Wasser, sich verzweiflungsvoll an die Klippe klammernd. Ich ergreife einen der vorhandenen Dattelbaststricke, eile an das Seitenbord und werfe ihn dem Bedrohten zu. Er faßt danach – ergreift ihn – wird emporgezogen – es ist – Abrahim-Mamur.
Sobald er das Verdeck glücklich erreicht hatte, schüttelte er das Wasser aus seinen Kleidern und stürzte dann mit geballten Fäusten auf mich zu.
»Hund, du bist ein Räuber und Betrüger!«
Ich erwartete ihn stehenden Fußes, und meine Haltung bewirkte, daß er vor mir stehen blieb, ohne seine Fäuste in Anwendung zu bringen.
»Abrahim-Mamur, sei höflich, denn du befindest dich nicht in deinem Hause. Sagst du nur noch ein Wort, welches mir nicht gefällt, so lasse ich dich an den Mast binden und durchpeitschen!«
Die größte Beleidigung für einen Araber ist ein Schlag, und die zweitgrößte ist die Drohung, ihn zu schlagen. Abrahim machte eine Bewegung, bezwang sich aber augenblicklich.
»Du hast mein Weib an Bord!« rief er.
»Nein.«
»Du sagst mir nicht die Wahrheit!«
»Ich sage sie, denn die ich an Bord habe, ist nicht dein Weib, sondern die Verlobte dieses jungen Mannes, welcher neben dir steht.«
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