Владимир Ленин (Ульянов) - Полное собрание сочинений. Том 9. Июль 1904 ~ март 1905
Gen. Luxemburg sagt, daß ich meinen Standpunkt vielleicht scharfsinniger gekennzeichnet habe, als es irgend einer meiner Opponenten tun könnte, als ich meinen «revolutionären Sozialdemokraten», als einen mit der Organisation der klassenbewussten Arbeiter verbundenen Jakobiner definierte. Wieder eine tatsächliche Unwahrheit. Nicht ich, sondern P. Axelrod sprach zuerst vom Jakobinismus. Axelrod war der erste, der unsere Parteinuancen mit denen aus der Zeit der großen Revolution verglichen hat. Ich bemerkte bloß, daß dieser Vergleich nur in dem Sinne zulässig sei, daß die Teilung der modernen Sozialdemokratie auf die revolutionäre und opportunistische im gewissen Sinne der Teilung auf die Montagnard'en und Girondisten entspricht. Einen solchen Vergleich tat recht oft die vom Parteitag anerkannte alte «Iskra». Gerade diese Teilung anerkennend, kämpfte die alte «Iskra» mit dem opportunistischen Zweig unserer Partei, mit der Richtung der «Rabotschee Djelo». Rosa Luxemburg verwechselt hier das Verhältnis zwischen zwei revolutionären Richtungen des XVIII. und XX. Jahrhunderts mit der Identifizierung dieser Richtungen selbst. Wenn ich z. Β. sage, daß das Verhältnis zwischen der «Jungfrau» und dem «Kleinen Scheidegg» dem Verhältnisse zwischen 4-und 2-stöckigen Häusern entspricht, so heißt es doch nicht, daß ich ein 4 stöckiges Haus mit der «Jungfrau» identifiziere. Gen. Luxemburg hat völlig die tatsächliche Analyse der verschiedenen Richtungen unserer Partei außer Acht gelassen. Und gerade dieser Analyse, die sich auf die Protokolle unseres Parteitags fußt, widme ich die größere Hälfte meines Buches, und in der Einleitung mache ich darauf besonders aufmerksam. Rosa Luxemburg will über die jetzige Lage unserer Partei sprechen und ignoriert dabei vollständig unsern Parteitag, der eigentlich den echten Grundstein unserer Partei gelegt hat. Es muss als ein gewagtes Unternehmen angesehen werden! Ein um so mehr gewagtes Unternehmen, da ich hundertmal in meinem Buch darauf hinweise, daß meine Gegner unsern Parteitag ignorieren und eben darum alle ihre Behauptungen jeder tatsächlichen Grundlagen berauben.
Gerade diesen Grundfehler begeht auch die Gen. Luxemburg. Sie wiederholt nackte Worte, ohne sich zu bemühen, ihren konkreten Sinn zu begreifen. Sie rückt Schreckens-gespenste vor, ohne die reale Lage des Streites kennen zu lernen. Sie schiebt mir Gemeinplätze, allgemeine Prinzipien, allgemeine Erwägungen, absolute Wahrheiten zu und sucht die relativen Wahrheiten, die sich auf scharfbestimmte Tatsachen beziehen und mit denen allein ich operiere, totzuschweigen. Und sie klagt noch über Schablone. Sie beruft sich dabei auf Marx's Dialektik. Und gerade der Artikel der geehrten Genossin enthält ausschließlich erdichtete Schablone, gerade ihr Artikel widerspricht dem Abc der Dialektik. Dies Abc besagt, daß es keine abstrakte Wahrheit gibt, die Wahrheit ist immer konkret. Gen. Rosa Luxemburg ignoriert majestätisch die konkreten Tatsachen unseres Parteikampfs und deklamiert großmütig über Fragen, die unmöglich ernst diskutiert werden können. Ich führe noch ein letztes Beispiel aus dem zweiten Artikel der Gen. Luxemburg an. Sie zitiert meine Worte darüber, daß die oder jene Fassung eines Organisationsstatuts als ein mehr oder weniger scharfes Kampfmittel gegen den Opportunismus dienen kann. Über welche Fassungen sprach ich in meinem Buch und sprachen wir alle auf dem Parteitag, darüber sagt Rosa Luxemburg kein Wort. Welche Polemik auf dem Parteitag geführt wurde, gegen wen rückte ich meine Grundsätze vor, das geht die Genossin gar nichts an. Dagegen geruht sie, mir eine ganze Vorlesung über den Opportunismus… in den parlamentärischen Ländern vorzuhalten!! Aber die besondere, spezifische Artung des Opportunismus, die Nuancen, die er bei uns in Rußland angenommen hat und mit denen ich mich in meinem Buch beschäftige, darüber finden wir keinWort in dem Artikel der Genossin. Die Schlußfolgerung aller dieser hochgeistreichen Auseinandersetzungen ist die: «Das Parteistatut soll nicht etwa (?? verstehe, wer kann) eine Waffe zur Abwehr des Opportunismus sein, sondern bloß ein äußeres Machtmittel zur Ausübung des massgebenden Einflußes der tatsächlich vorhandenen revolutionärproletarischen Majorität der Partei». Sehr richtig. Aber wie gestaltete sich die tatsächlich vorhandene Majorität unserer Partei, darüber schweigt Rosa Luxemburg, und gerade darüber spreche ich in meinem Buch. Sie schweigt auch darüber, welchen Einfluß ich und Plechanoff mit diesem äussern Machtmittel verteidigt haben. Ich kann nur hinzufügen, daß ich niemals und nirgends über einen solchen Unsinn, wie das Parteistatut eine Waffe «an sich», sprach.
Die richtigste Antwort, auf eine solche Art und Weise meine Ansichten zu erläutern, wäre, die konkreten Tatsachen unseres Parteikampfs wiederzugeben. Da wird einem jeden klar, wie hübsch solche abstrakten Gemeinplätze und Schablone der Gen. Luxemburg mit den konkreten Tatsachen kontrastieren.
Unsere Partei wurde im Frühling 1898 in Rußland auf dem Kongreß der Vertreter einiger russischen Organisationen gegründet. Die Partei wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands genannt, als Zentralorgan der Partei wurde die «Rabotschaja Gaseta» (Arbeiterzeitung) ernannt; der Verein der russischen Sozialdemokraten im Auslande wurde zum ausländischen Vertreter der Partei. Sehr bald nach dem Parteitag wurde das Zentralkomitee der Partei von der Polizei verhaftet. Die «Rabotschaja Gaseta» mußte nach der zweiten Nummer zu erscheinen aufhören. Die ganze Partei wurde zum formlosen Konglomerat der Lokalorganisationen (die Komitees genannt wurden). Das einzige Bindemittel, das diese Lokalkomitees vereinigte, war das ideale, rein geistige Bündnis. Es mußte notwendig wieder die Periode des Auseinandergehens, hin und her Schwankens und Spaltungen eintreten. Die Gebildeten, die ein viel größeres Prozent unserer Arbeiterpartei im Vergleich zu den westeuropäischen Parteien ausmachen, begeisterten sich für den Marxismus, wie für eine neue Mode. Diese Begeisterung hat sehr bald dem sklavischen Niederbeugen vor der bürgerlichen Kritik Marx's einerseits und der rein professionalen Arbeiterbewegung (Streikismus-Oekonomismus) anderseits Platz gemacht. Das Auseinandergehen des intellektuell-opportunistischen und proletarisch-revolutionären Richtungen brachte zur Spaltung des ausländischen «Vereins». Die Zeitung «Rabotschaja Mysl» (Arbeitergedanke) und die ausländische Zeitschrift «Rabotschee Djelo» (Arbeitersache) (die letzte etwas schwächer) vertraten den Standpunkt des Oekonomismus, erniedrigten den politischen Kampf, verneinten die Elemente einer bürgerlichen Demokratie in Rußland. Die «legalen» Kritiker von Marx, die Herren Struve, Tugan-Baranowsky, Bulgakoff, Berdjajeff u. a. m. gingen ganz nach rechts über. Nirgends in Europa finden wir, daß das Bernsteinjanertum so rasch zu seinem logischen Ende, zur Bildung einer liberalen Fraktion gelangte, wie es bei uns in Rußland der Fall war. Bei uns fing Hr. Struve im Namen des Bernsteinjanertum mit der «Kritik» an und endete mit der Bildung einer liberalen Zeitschrift «Oswoboschdenie», liberalen im europäischen Sinne dieses Wortes. Die ans dem ausländischen Verein ausgetretenen Plechanoff und seine Freunde wurden von den Gründern der «Iskra» und «Saria» unterstützt. Diese zwei Zeitschriften führten (darüber hat sogar Gen. Rosa Luxemburg etwas gehört) eine «dreijährige glänzende Kampagne» gegen den opportunistischen Flügel der Partei, eine Kampagne der sozialdemokratischen «Montagne» gegen die sozialdemokratische «Gironde» (das ist der Ausdruck der alten «Iskra»), einen Feldzug gegen «Rabotschee Djelo» (Gen. Kritschewsky, Akimoff, Martinoff u. Α.), gegen den jüdischen «Bund», gegen die russischen Organisationen, die sich für diese Richtung begeisterten (da kommen zuerst die Petersburger sogen. Arbeiterorganisation und das Komitee von Woronesch in Bezug).
Es wurde immer mehr und mehr klar, dass das rein ideale Bündnis zwischen den Komitees schon ungenügend sei. Immer dringlicher äußerte sich das Bedürfnis, eine tatsächlich geschlossene Partei zu bilden, das heißt, das zu vollführen, was im Jahre 1898 nur angedeutet wurde. Endlich zum Schluß des Jahres 1902 bildete sich ein Organisationskomitee, das sich die Aufgabe machte, den II. Parteitag zusammenzurufen. In dieses Organisationskomitee, das hauptsächlich von der russischen Organisation der «Iskra» gegründet wurde, trat auch ein Vertreter des jüdischen «Bundes» ein. Im Herbst 1903 kam endlich der zweite Parteitag zustande; er endete einerseits mit der formellen Einigung der Partei, anderseits mit der Spaltung auf die «Majorität» und die «Minorität». Diese letzte Teilung existierte nicht vor dem Parteitag. Nur die detaillierte Analyse des Kampfes auf dem Parteitag kann diese Teilung erklären. Leider weichen die Anhänger der Minorität (inklusive Gen. Luxemburg) dieser Analyse ängstlich aus.
In meinem Buch, das so eigentümlich von der Gen. Luxemburg den deutschen Lesern wiedergegeben ist, widme ich mehr als 100 Seiten einer durchgehender Forschung der Parteitagsprotokolle (die in einem ca 400 S. starken Buch abgedruckt sind). Diese Analyse zwang mich, die Delegierten oder besser gesagt die Stimmen (wir hatten Delegierte mit einer oder zwei Stimmen) in vier Grundgruppen zu teilen: 1) Die Iskristen (Anhänger der Richtung der alten «Iskra») der Majorität – 24 Stimmen, 2) die Iskristen der Minorität – 9 Stimmen, 3) das Zentrum (spottweise auch Sumpf genannt) – 10 Stimmen und endlich 4) Antiiskristen – 8 Stimmen, im Ganzen 51 Stimmen. Ich analysiere die Beteiligung dieser Gruppenn bei allen Abstimmungen, die auf dem Parteitag vorgenommen wurden, und beweise, daß bei allen Fragen (des Programms, der Taktik und der Organisation) der Parteitag eine Arena des Kampfes der Iskristen gegen die Antiiskristen bei den verschiedenen Schwankungen des Sumpfes bildete. Einem jeden, der nur ein wenig mit der Geschichte unserer Partei vertraut ist, muß es klar sein, daß es auch anders nicht sein konnte. Aber alle Anhänger der Minorität (inklusive R. Luxemburg) schließen bescheiden ihre Augen vor diesem Kampf zu. Warum? Denn gerade dieser Kampf veraugenscheinlicht die Grundfalschheit der jetzigen politischen Lage der Minorität. Während des ganzen Kampfs auf dem Parteitag in Dutzenden Fragen, in Dutzenden Abstimmungen kämpften die Iskristen gegen die Antiiskristen und den Sumpf, der nur so entschiedener sich auf die Seite der Antiiskristen stellte, je konkreter die debatierte Frage war, je positiver sie die Grundfassung der sozialdemokratischen Arbeit bestimmte, je realer sie die ständigen Pläne der alten «Iskra» ins Leben zu rufen suchte. Die Antiiskristen (besonders Gen. Akimoff und der immer mit ihm stimmende Delegierte der Petersburger Arbeiterorganisation Gen. Brucker, fast immer Gen. Martinoff und 5 Delegierte des jüdischen «Bundes») verneinten die Anerkennung der Richtung der alten «Iskra». Sie verteidigten die alten Privatorganisationen, stimmten gegen ihre Unterwerfung der Partei, gegen ihren Zusammenschluß mit der Partei (der Inzident mit dem Organisationskomitee, die Auflösung der Gruppe des «Südarbeiters», der wichtigsten Gruppe des Sumpfes u. s. w.). Sie kämpften gegen den zentralistisch formulierten Organisationsstatut (14, Sitzung des Parteitags) und beschuldigten damals alle Iskristen, daß sie ein «organisiertes Mißvertrauen», ein «Ausnahmegesetz» und dergleichen Schreckgespenster einführen wollen. Damals lachten darüber alle Iskristen ohne Ausnahme, jetzt nimmt merkwürdigerweise die Gen. Rosa Luxemburg diese Gespenster für etwas Ernstes an. In der großen Mehrzahl der Fragen siegten die Iskristen; sie überwiegten auf dem Parteitag, wie es auch leicht aus den erwähnten Zahlenangaben zu ersehen ist. Aber während der zweiten Hälfte der Sitzungen, als es weniger prinzipielle Fragen zu lösen war, siegten die Antiiskristen, da mit ihnen einige Iskristen stimmten. So geschah es z.B. in der Frage über die Gleichberechtigkeit aller Sprachen in unserem Programm, bei welcher Frage es den Antiiskristen beinahe gelang, die Programmkommission zu stürzen und uns in der Frage der Programmfassung zu besiegen. So geschah es auch in der Frage über den ersten Paragraphen des Statuts, als die Antiiskristen und der Sumpf die Fassung Martoffs durchgeführt haben. Nach dieser Fassung gelten als Parteimitglieder nicht nur die Mitglieder einer Parteiorganisation (eine solche Fassung verteidigten ich und Plechanoff), sondern auch alle Personen, die unter der Kontrolle einer Parteiorganisation arbeiten[12].